0. Einleitung
Das Vernetzungs-Bündnis ‚Widersetzen‘ versteht sich als klarer Gegenpol zu rechten, rassistischen und sexistischen Ideologien, wie sie durch die AfD vertreten werden.
Unser Ziel ist es, eine solidarische, gerechte und diverse Gesellschaft zu schaffen, in der alle Menschen unabhängig von Merkmalen wie Geschlecht, Rassifizierung, sexueller Orientierung oder körperlichen Voraussetzungen, Religion bzw. Weltanschauung, Alter und sozialer Herkunft respektiert und gleichberechtigt behandelt werden.
Dazu braucht es ein Bewusstsein (‚Awareness‘), dass es strukturelle Ungleichheiten in unserer Gesellschaft gibt und dass Diskriminierungs-Erfahrungen nicht bloß tragische Einzelfälle sind. Ganze Gruppen werden an den Rand unserer Gesellschaft gedrängt.
Während rechte Kräfte auf Ausgrenzung, Nationalismus und autoritäre Machtstrukturen setzen, kämpfen wir für eine solidarische, inklusive und gerechte Gesellschaft. Unser Konzept zielt darauf ab, marginalisierte Gruppen zu stärken, Machtstrukturen abzubauen und eine transformative Gerechtigkeit zu schaffen, die alle Menschen einbezieht.
Wir versuchen bei den Zusammenkünften im Rahmen des Widersetzen-Bündnisses dafür zu sorgen, dass Personen, die Diskriminierungen oder andere Formen von Gewalt erleben, nicht gezwungen sind, aus Selbstschutz das Bündnis zu verlassen.
Awareness-Arbeit wurde in schwarzen, teilweise queeren, Gemeinschaften entwickelt, die sich nicht auf Staat und Polizei verlassen konnten. Diese Institutionen haben die Ungleichbehandlungen nicht angemessen geahndet, sondern teilweise erst ermöglicht.
Wir sind eine vornehmlich weiß positionierte Gruppe von Menschen und deshalb ist es uns wichtig, die Herkunft unserer Arbeits-Prinzipien zu nennen, um die Errungenschaften dieser Gemeinschaften anzuerkennen und zu würdigen und sie uns nicht einfach nur anzueignen.
Das Awarenesskonzept des Bündnisses „Widersetzen“ versteht sich als direkter Gegenentwurf zu den rechten und diskriminierenden Positionen der AfD.
Awareness-Arbeit basiert auf Werten wie Inklusion, Gleichbehandlung und intersektionaler Gerechtigkeit.
Wir wollen dafür sorgen, dass alle Menschen unabhängig von Bildung oder körperlichen Voraussetzungen an unserer Arbeit teilhaben können.
1. Zentrale Werte und Grundbegriffe
Die folgenden Begriffe und Konzepte sind Grundlage für unser Handeln im Rahmen der Awareness-Arbeit.
Intersektionalität
Intersektionalität ist ein zentrales Prinzip von Awareness-Arbeit und beschreibt das Zusammenwirken verschiedener Formen der Diskriminierung und Ausgrenzung, die oft gleichzeitig auftreten und sich gegenseitig verstärken. Menschen können zum Beispiel nicht nur aufgrund ihres Geschlechts, sondern gleichzeitig auch durch Rassismus benachteiligt sein.
Dieses Konzept hilft uns, die Komplexität von Ungleichheiten zu verstehen und in unserer Arbeit sichtbar zu machen.
Gleichbehandlung und Inklusion
Unser Ansatz basiert auf dem Grundsatz, dass alle Menschen unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder Fähigkeiten gleich behandelt werden müssen. Inklusion bedeutet für uns nicht nur Barrierearmut, sondern auch eine Gesellschaft, in der alle Menschen in ihrer Vielfalt wahrgenommen und respektiert werden. Dies gilt insbesondere für BIPoC (Black, Indigenous, and People of Color), die aufgrund von Rassismus und Marginalisierung (Verdrängung an den Rand der Gesellschaft) häufig unsichtbar gemacht werden.
Rassismus und verwandte Diskriminierungsformen
Wir erkennen Ausgrenzung als ein Ausnutzen von tief in unserer Gesellschaft eingebetteten Machtverhältnissen an und stellen uns deshalb gegen alle Formen von Rassismus und Antisemitismus.
Insbesondere durch rechte Ideologien, wie sie die AfD propagiert, werden diese Diskriminierungsformen weiter verschärft. Die Auseinandersetzung mit Rassismus ist nicht nur der Kampf gegen institutionelle und strukturelle Diskriminierung, sondern auch eine Frage der Reflexion eigener Vorurteile.
FLINTA+ und Geschlechtergerechtigkeit
FLINTA+ steht für Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans und agender Personen. Damit sind explizit alle Menschen gemeint, die nicht cis-männlich sind.
Dieser Begriff steht im Mittelpunkt unserer queer-feministischen Arbeit. Wir setzen uns für die Sichtbarkeit und Teilhabe dieser Personen in allen gesellschaftlichen Bereichen ein. Wir setzen uns auch für eine gerechte Verteilung von Care-Arbeit ein. Care-Arbeit wird oft unsichtbar gemacht und auf FLINTA+ Personen abgewälzt.
Transfeindlichkeit und Queerfeindlichkeit lehnen wir entschieden ab, Wir benutzen deshalb auch den Begriff Queer-Feminismus, um darauf hinzuweisen, dass Transfeindlichkeit und Queerfeindlichkeit durch TERFs (Trans Exclusionary Radical Feminists) und SWERFs (Sex-Work-Exclusionary Radical Feminists) gefördert werden. Diese Ideologien versuchen, trans Personen aus feministischen Kämpfen auszuschließen und marginalisierte Gruppen wie Sexarbeiterinnen weiter zu diskriminieren.
LGBTQAI+ und Queerness
LGBTQIA+ ist eine Abkürzung der englischen Wörter Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Queer, Intersexual und Asexual. Es ist also eine Abkürzung für lesbische, schwule, bisexuelle, transsexuelle/Transgender-, queere, intersexuelle und asexuelle Menschen.
Menschen, deren sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität nicht der heteronormativen Norm entspricht, bezeichnen sich gerne als queer. Durch den Begriff ‚queer‘ kann eine Identifikation stattfinden, ohne dass eine stereotype Rolle eingenommen werden muss.
Geschlechtergerechte Sprache und Pronomen
Die Verwendung geschlechtergerechter Sprache ist ein zentraler Bestandteil unserer Praxis. Sie macht verschiedene Geschlechteridentitäten sichtbar und fördert die Gleichbehandlung. Wir setzen uns auch dafür ein, dass Pronomen respektiert werden, um emotionale Verletzungen durch das Benutzen falscher Pronomen (‚Misgendern‘) zu vermeiden.
Sexismus und sexualisierte Gewalt
Sexismus ist eine der ältesten und eine zu tiefst verankerte Form der Diskriminierung und Teil patriarchaler Kontrolle. Wir erkennen sexualisierte Gewalt als Machtmittel an, das oft genutzt wird, um FLINTA+ Personen zu unterdrücken.
Unerwünschte Pseudo-Komplimente (‚Cat-Calling‘), die Ablehnung an einer aktiven Sexualität bei FLINTA+-Personen (‚Slut-Shaming‘) und die Abwertung von Personen, deren Körper nicht einem vermeintlichen Ideal entsprechen (‚Body-Shaming‘) sind nur einige der subtileren Formen (Mikroagressionen) von Gewalt, die im Alltag auftreten.
Ableismus und Neurodivergenz
Ableismus bezeichnet die Diskriminierung von Menschen, die in unserer Gesellschaft behindert werden. Unser Ziel ist eine Gesellschaft, in der Barrierearmut und Inklusion selbstverständlich sind.
Gleichzeitig fordern wir mehr Sichtbarkeit für neurodivergente Menschen – also Personen, die neurologisch von der gesellschaftlichen Norm abweichen, wie etwa Menschen mit Autismus oder ADHS. Auch diese Gruppen sind besonders durch Machtstrukturen benachteiligt und sollen in unsere Awareness-Arbeit einbezogen werden.
Ageism und Adultismus
Ageism bezeichnet die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres Alters. In unserer Gesellschaft erfahren sowohl ältere Menschen als auch Kinder und Jugendliche durch Adultismus Benachteiligungen.
Wir setzen uns für Teilhabe aller Altersgruppen ein und erkennen an, dass Machtstrukturen oft auf der Abwertung bestimmter Lebensphasen beruhen.
Privilegien und Allyship
Ein zentraler Ansatzpunkt unserer Arbeit ist die Sensibilisierung für Privilegien. Allyship bedeutet, dass Menschen, die in einer Machtposition sind, aktiv solidarisch handeln, um marginalisierten Gruppen beizustehen.
Dies erfordert eine kritische Reflexion eigener Privilegien und die Bereitschaft, gegen alltägliche Diskriminierungsformen aktiv einzuschreiten. Damit meinen wir Verhaltensweisen wie zum Beispiel ‚Gaslighting‘ (psychologische Manipulation und Verunsicherung), ‚Silencing‘ (mundtot machen) oder ‚Tone Policing‘ (Nicht-Anerkennen von Argumenten, weil die betroffenen Personen gerade nicht gelassen agieren).
Transformative Gerechtigkeit und gesellschaftliche Verantwortungsübernahme
Unser Ziel ist eine tiefgreifende gesellschaftliche Veränderung hin zu mehr Gerechtigkeit. Transformative Gerechtigkeit bedeutet, dass wir nicht nur Symptome bekämpfen, sondern die zugrunde liegenden Machtstrukturen verändern wollen.
Dabei setzen wir auf gemeinschaftliche Verantwortungsübernahme und die Schaffung neuer, gerechterer Strukturen. Verantwortungsübernahme in diesem Kontext bedeutet zum einen, dass jede*r Einzelne sich aktiv darum bemüht, Machtstrukturen zu erkennen und abzubauen, statt sie zu reproduzieren. Und zum anderen ist es ein Prozess innerhalb von Gruppen, um zu verhindern, dass sich Vorfälle wiederholen. Idealerweise ohne dass Menschen ausgeschlossen werden müssen.
Konsens
Wir legen großen Wert auf Konsens in allen Handlungen. Das bedeutet, dass alle beteiligten Personen explizit ihre Zustimmung geben müssen, bevor Handlungen vorgenommen werden, die sie betreffen.
Definitionsmacht
Das Konzept der Definitionsmacht stellt einen Gegenentwurf zum bürgerlichen Rechtssystem dar, in dem sich die betroffene Person, aufgrund der Unschuldsvermutung in einer strukturell schwächeren Position befindet.
Awareness-Arbeit hat den Fokus auf der betroffenen Person und stellt ihre Wahrnehmung nicht in Frage und relativiert diese auch nicht.
Soldarische Parteilichkeit
In unserem Umgang mit betroffenen Personen sind wir immer parteilich. Neutralität würde bedeuten, vorhandene Ungerechtigkeiten schweigend hinzunehmen und damit im Endeffekt nur weiter zu verstärken.
2. Konsequenzen und Durchführung
Die folgenden Erklärungen zum Roten Rat sind aus der Perspektive unserer Awareness-Arbeit geschrieben. Sie bilden daher die Aufgabenbereiche des Roten Rates nicht vollständig ab.
Rote Linien
Bei physischer Gewalt gegen Gegenstände oder Personen wird die diskriminierende bzw. gewaltausübende Person (dgP) sofort aufgefordert, die Veranstaltung zu verlassen.
Die Kommunikation und Durchführung von Ausschlüssen wird von Orga und/oder Security durchgeführt.
Roter Rat
Im Fall von z.B. wiederholtem Alltags-Sexismus berät sich die Awareness und trifft mit mindestens zwei (mindestens eine davon erfahren) oder drei Personen einen Entschluss für eine Empfehlung an den Roten Rat.
Der Rote Rat besteht aus zwei Menschen aus der Awareness, zwei Menschen aus dem Koordinierungs-Kreis und zwei Menschen aus der Vernetzung mit den Strukturen, aus der die gewaltausübende Person stammt.
Der Rote Rat trifft die tatsächliche Entscheidung darüber, ob eine Person ausgeschlossen wird, auch wenn keine rote Linie überschritten wurde. Die Kommunikation und Durchführung von Ausschlüssen liegt bei Orga und/oder Security.
Einbeziehung der diskriminierenden bzw. gewaltausübenden Person
Der Rote Rat bespricht sich vor der Entscheidungsfindung mit der dgP und einer anderen Person aus der Struktur der dgP.
Erst danach trifft der Rat per Konsent (keine starken Widerstände) die tatsächliche Entscheidung darüber, ob eine Person ausgeschlossen wird, auch wenn keine rote Linie überschritten wurde.
Einbeziehung der Bündnis-Strukturen
Widersetzen versteht sich als Vernetzungs-Bündnis-Struktur.
Sollte eine Person aufgrund ihres Verhaltens von einer Veranstaltung ausgeschlossen wurde, ohne dass dabei rote Linien überschritten wurden, wollen wir unbedingt verhindern, dass eine ganze Bündnis-Struktur das Gefühl bekommt, nicht mehr im Widersetzen-Vernetzungs-Bündnis willkommen zu sein.
Deshalb möchten wir mit der entsprechenden Struktur direkt in die Kommunikation gehen und versuchen, einen transformativen Gruppenprozess anzustoßen.
Weitere Vorbereitungen
Wir arbeiten interne Handlungsleitfäden aus, um in konkreten Fällen sofort handlungsfähig zu sein. Dazu gehören auch Mittel zur Prävention sexualisierter Gewalt.
3. Ergänzungen und Bitten
Wir bitten alle Organisationen, sich im Vorfeld mit diesem Konzept vertraut zu machen.
Wir verstehen dieses Konzept als Kurzkonzept und haben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Wir nehmen Ergänzungen und Anmerkungen zu Inhalten gerne an. Wir würden gerne ein ausführliches Konzept erarbeiten und Übersetzungen, insbesondere auch in einfache Sprache, zur Verfügung stellen. Dazu fehlen gerade Kompetenzen und Kapazitäten. Wenn Ihr helfen könnt, kommt bitte auf uns zu.
Awareness ist eine gemeinschaftliche Aufgabe von uns allen. Wir bitten Euch, in Euren Strukturen Werbung für diese Art der Care-Arbeit zu machen. Wir brauchen noch viel mehr Menschen, die Lust darauf haben. Entsprechende Skillshares werden von uns angeboten bzw. organisiert.
Ihr erreicht uns über folgende Mailadresse:
awareness@widersetzen.com